Haftungsverteilung bei einem Auffahrunfall

Haftungsverteilung bei einem Auffahrunfall auf der Autobahn im Anschluss ein einen Fahrstreifenwechsel

Kommt es auf der Autobahn zu einem Auffahrunfall, so trifft das vorausfahrende Fahrzeug die alleinige Haftung, wenn es die Fahrspur gewechselt hat und dieser Fahrspurwechsel zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgeschlossen war.

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 21.03.2022 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az. 12 O 78/21, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Potsdam ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.755,02 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom 02.11.2020 gegen 17:00 Uhr auf der BAB 9 bei Kilometer 23,4 geltend, bei dem der vom Kläger gehaltene Pkw T4 mit dem amtlichen Kennzeichen LAU-XL 260 mit dem von der Beklagten zu 1 gehaltenen und zum Unfallzeitpunkt vom Beklagten zu 2 geführten und bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten Pkw Skoda Oktavia mit dem amtlichen Kennzeichen L-PT 2832 kollidierte. Dabei fuhr der Zeuge S. das Klägerfahrzeug zunächst auf der rechten der drei Fahrspuren in Fahrtrichtung München. Da vor ihm ein Lkw beabsichtigte, auf die Autobahn aufzufahren, setzte er den linken Fahrtrichtungsanzeiger und wechselte in die mittlere Fahrspur. Dort befand sich das Fahrzeug der Beklagten. Die Aktivlegitimation des Klägers, der Unfallhergang im Einzelnen und die Höhe des Schadens stehen im Streit. Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, durch Vorlage des Original-Fahrzeugbriefes habe der Kläger die Aktivlegitimation nachgewiesen. Im Weiteren komme grundsätzlich eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG in Betracht. Allerdings habe der Zeuge S. als Fahrer des klägerischen Fahrzeuges gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen, sodass der Kläger allein für die Fahrzeugschäden hafte. Insoweit streite für die Beklagten ein Anscheinsbeweis für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Fahrstreifenwechsler gelten. Es liege hier ein unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel vor, wie sich bereits aus der Aussage des Zeugen S. ergebe. Unerheblich sei, ob zuerst die Kollision zwischen dem Kläger- und dem Beklagtenfahrzeug oder dem Beklagtenfahrzeug und dem Fahrzeug des Zeugen T. stattgefunden habe. In beiden Fällen bestehe ein Zusammenhang mit dem vorherigen Spurwechsel. Dem Kläger sei es auch nicht gelungen, den Anscheinsbeweis zu entkräften. Allein die Kollision zwischen drei Fahrzeugen begründe keinen atypischen Unfallhergang. Eigene Verstöße der Beklagten seien nicht nachgewiesen. Eine überhöhte Geschwindigkeit sei schon nicht vorgetragen. Auch ein zu spätes Reagieren scheide nach dem Vortrag des Beklagten zu 1 aus, nachdem dieser überzeugend ausgeführt habe, dass der Spurwechsel plötzlich gekommen sei. Wegen der weiteren Entscheidungsgründe wird auf das Urteil Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 08.04.2022 zugestellte Urteil mit am Montag, dem 09.05.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und innerhalb der zweimalig, zuletzt bis zum 08.08.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist an diesem Tag begründet. Er führt aus, der als Beklagter zu 1 im Termin vor dem Landgericht Angehörte sei der bislang nicht benannte Zeuge Yaron Hagar gewesen und dessen Einlassung deshalb nicht zu berücksichtigen. Ferner habe das Landgericht ohne Hinweis und Begründung von der notwendigen Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Auch ein Anscheinsbeweis komme vorliegend nicht in Betracht, da es dem Geschehen an der erforderlichen Typizität fehle. Denn die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Beklagte zu 2 gerade schon auf die linke Fahrspur gewechselt sei und zwar so weit, dass dem Zeugen T. auch unter Benutzung des Seitenstreifens ein Vorbeifahren nicht mehr möglich gewesen wäre. Insofern sei der Nachweis für einen Fahrstreifenwechsel durch den Beklagten zu 2 und nicht nur für ein Ausweichen innerhalb der mittleren Fahrspur geführt. Der Fahrstreifenwechsel des Zeugen S. sei deshalb nicht kausal für den Unfall. Es hätte sachverständig zudem aufgeklärt werden müssen, dass die Differenzgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges und des Klägerfahrzeuges überhaupt nicht ausgereicht habe, um ersteres über die gesamte mittlere Fahrspur nach links zu drücken. Jedenfalls aber hätte der Beklagte zu 2 durch leichtes Bremsen oder Gas wegnehmen den Unfall vermeiden können, sodass ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges nicht in Betracht komme.

Das Bestreiten der Eigentümerstellung stelle eine reine und damit unbeachtliche Schutzbehauptung „ins Blaue hinein“ dar.

Der Kläger beantragt,

das am 21.03.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 12 O 78/21 abzuändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 8.755,02 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.12.2020, sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 808,13 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.12.2020 zu zahlen;

hilfsweise,

das am 21.03.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 12 O 78/21 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, die verfahrensfehlerhafte Anhörung vor dem Landgericht sei für die Entscheidung nicht kausal geworden. Denn zutreffend gehe das Landgericht von einem gegen den Kläger sprechenden Anscheinsbeweis eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO aus, der nicht entkräftet sei. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlten Anknüpfungstatsachen, weil die Position der Fahrzeuge nach den Zeugenaussagen gerade unklar sei. Für den Führer des Beklagtenfahrzeugs sei der Unfall auch nicht auf andere Weise zu verhindern gewesen, wie der Kläger erstinstanzlich selbst eingeräumt habe, indem er ein Bremsen oder Ausweichen als Reflexhandlung zugestehe.

Der im Termin vor dem Landgericht vorgelegte Fahrzeugbrief sei für den Nachweis der Aktivlegitimation nicht ausreichend. Diese werde weiterhin bestritten.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz nach der am 02.11.2020 auf der BAB 9 stattgefunden Kollision der Fahrzeuge des Klägers und der Beklagten aus §§ 7 Abs. 117, 18 StVG823 BGB i.V.m. § 115 VVG, § 1 PflVersG zu.

Ungeachtet der auch weiterhin bestehenden Zweifel an der Aktivlegitimation des Klägers ist die Klage jedenfalls auch deshalb unbegründet, weil das Landgericht in Abwägung der Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten gemäß § 17 StVG zu Recht von einer alleinigen Haftung des Klägers ausgegangen ist.

Im Ausgangspunkt haften die Beklagten auf Schadensersatz gemäß § 7 StVG, weil sich der Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges ereignet hat und weder höhere Gewalt noch ein unabwendbares Ereignis vorliegt.

Der dem Kläger obliegende Nachweis für einen darüber hinausgehenden schuldhaften Verkehrsverstoß des Fahrers des Beklagtenfahrzeuges ist nicht geführt. Vielmehr ist im Rahmen der dann vorzunehmenden Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG ein Verstoß des Zeugen S. gegen § 7 Abs. 5 StVO zu berücksichtigen.

a) Der Zeuge S. hat schon nach dem Vorbringen des Klägers selbst im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Fahrzeugkollision einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen, der zum Zeitpunkt der Kollision der Fahrzeuge nicht abgeschlossen war.

aa) Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der den Spurwechsel vornehmende Verkehrsteilnehmer den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. Dieser begründet zugleich regelmäßig die Alleinhaftung des Spurwechslers. Denn allein die einfache Betriebsgefahr rechtfertigt seine Mithaftung nicht (KG Berlin, Urteil vom 10. Februar 2021 – 25 U 160/19 -, Rn. 6 – 8; OLG Köln, Urteil vom 10. November 2016 – I-7 U 91/16 -, Rn. 3; OLG München, Urteil vom 13. Juli 2018 – 10 U 1856/17 -, Rn. 25, juris). Mithin obliegt es dem Spurwechsler den Beweis zu führen, dass entweder ein atypischer Geschehensablauf vorliegt oder, soweit eine Haftung der Beklagten in der Gesamtabwägung berücksichtigt werden soll, die Beklagten ihrerseits einen Verkehrsrechtsverstoß begangen haben.

bb) Der Zeuge S. wechselte unstreitig von der rechten auf die mittlere Fahrspur der dreispurigen Autobahn. Noch bevor der Spurwechselvorgang abgeschlossen war (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 7 Rn. 25), kollidierten die Fahrzeuge der Parteien. Insoweit liegt ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang des Spurwechsels und der Kollision auf der Hand.

cc) Zutreffend geht das Landgericht auch davon aus, dass es dem Unfallgeschehen nicht an der erforderlichen Typizität fehlt. Auch wenn bei der Anwendung des Anscheinsbeweises grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist, und er deswegen nur Anwendung finden kann, wenn das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür ist, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet wird, schuldhaft gehandelt hat (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10 -, BGHZ 192, 84-90, Rn. 11), besteht hier kein Anlass, von einem atypischen Geschehensablauf auszugehen. Denn dass der nachfolgende Verkehr auf der Fahrspur, auf die gewechselt wurde, ein Ausweichmanöver durchführt, ist geradezu typisch für einen Spurwechselvorgang. Dabei besteht hier zugunsten des Klägers auch keine Vermutung für eine Unaufmerksamkeit oder einen Fahrfehler des Beklagten zu 2, der zugleich dem Vorgang die Typizität nehmen könnte, wie dies z.B. bei einem Auffahrunfall in Betracht zu ziehen ist. Gleiches gilt für die weitere Kollision mit dem Fahrzeug des Zeugen T.. Denn auch eine mehrfache Kollision von Fahrzeugen ist im Rahmen eines Spurwechsels nicht untypisch.

Der Nachweis folgt auch nicht aus dem eigenen Vortrag der Beklagten. Denn bereits in der Klageerwiderung haben sie vorgetragen, der Zeuge S. habe geblinkt und sei gleichzeitig nach links gefahren. Um eine Kollision zu vermeiden, habe der Beklagte zu 2 zunächst innerhalb seiner Spur nach links gelenkt, dann jedoch durch einen Blick in den Rückspiegel festgestellt, dass ein Fahrstreifenwechsel nach links wegen des dort fahrenden Zeugen T. nicht möglich gewesen sei. Deshalb sei er auf seiner Spur verblieben und es sei zur Kollision gekommen. Dieser Vortrag mag zwar in seiner Schilderung einen erheblichen Zeitrahmen erfassen. Genauso denkbar ist jedoch eine kurzzeitige Reaktion wie auch der nicht vorwerfbare Beginn eines Spurwechsels durch eine Linksorientierung der Fahrt und eine entsprechende Versicherung nach hinten, der wegen des Fahrzeugs des Zeugen T. noch innerhalb der mittleren Fahrspur abgebrochen wurde.

Warum das Beklagtenfahrzeug weiter in die ganz linke Spur gelangte und dort mit dem Fahrzeug des Zeugen T. kollidierte, bleibt offen. Der Zeuge S. hat lediglich ausgesagt, er habe bereits 4 bis 6 Sekunden den Fahrtrichtungsanzeiger getätigt und dann über den Außenspiegel den rückwärtigen Verkehr beobachtet. Dabei habe er bemerkt, dass das Beklagtenfahrzeug die Spur wechseln wollte und sei in der Annahme eines beginnenden Spurwechsels des Beklagtenfahrzeuges nach links gefahren, bis es zum Zusammenstoß gekommen sei. Es habe einen „parallelen Spurwechsel“ mit dem Beklagtenfahrzeug gegeben. Dieser Vortrag ist nicht geeignet, den Kläger zu entlasten. Denn danach war zum Zeitpunkt des Spurwechselvorganges des Zeugen S. die mittlere Fahrspur nicht frei. Der Zeuge S. hatte zudem keine verlässliche Grundlage für die Annahme, er könne den Fahrstreifen für die anderen Verkehrsteilnehmer gefahrlos wechseln. Weder ergab sich zu diesem Zeitpunkt für den Zeugen verlässlich, dass der Beklagte zu 2 überhaupt einen Spurwechsel in die für ihn linke Fahrspur vorhatte, noch dass dieser einen etwaigen Spurwechsel gefahrfrei durchführen und abschließen werde. Allein eine Orientierung des Beklagtenfahrzeugs nach links genügt dafür jedenfalls nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Abstand zwischen den Fahrzeugen der Parteien gering war. Der Zeuge S. geht lediglich von 20 m, die Beklagten von 2 bis 3 Fahrzeuglängen aus. Insoweit bestand kein hinreichend sicherer Abstand, der bei den gefahrenen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge um die 100 km/h, mögen die Differenzgeschwindigkeit gering oder nicht gewesen sein, ein sicheres Einfahren auf die mittlere Fahrspur ermöglichte.

Der Zeuge T. hat weder eine Erinnerung an ein etwaiges Blinken des Beklagtenfahrzeuges noch an das Klägerfahrzeug. Auch zum Ablauf der Kollisionen der Fahrzeuge konnte er keine Angaben machen. Er wusste nur, dass das Beklagtenfahrzeug auf die linke Spur kam und seitlich gegen sein Fahrzeug gefahren sei. Daher bleibt auch nach seiner Aussage offen, warum es zum Einfahren des Beklagtenfahrzeuges auf seine Fahrspur kam.

Auf die Aussage des zunächst fälschlich als Partei angehörten Zeugen L. kommt es demnach nicht an.

dd) Der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens bedarf es nicht. Nach dem Klägervortrag soll dadurch der Beweis geführt werden, dass – neben der Fahrbahnmaße – die Primärkollision zwischen dem Beklagtenfahrzeug, das die mittlere Fahrspur verlassen habe, und dem Fahrzeug des Zeugen T. stattgefunden habe und die Differenzgeschwindigkeit der Fahrzeuge nicht ausgereicht hätte, das Beklagtenfahrzeug auf die linke Spur zu drängen. Dies kann hier letztlich sogar unterstellt werden. Denn selbst wenn das Beklagtenfahrzeug im Rahmen eines Ausweichmanövers zunächst mit dem links fahrenden Pkw kollidiert wäre, entfiele weder der Ursachenzusammenhang mit dem Spurwechsel des Klägerfahrzeugs, denn das Fahrmanöver des Beklagten zu 2 geht nach wie vor auf den Spurwechsel des Klägerfahrzeugs zurück, noch wäre dadurch der Beweis für einen verkehrswidrigen Spurwechsel i.S.d. § 7 Abs. 5 StVO statt eines Ausweichmanövers des Beklagtenfahrzeugs geführt. Denn warum das Beklagtenfahrzeug nach links gelenkt wurde – den Klägervortrag insoweit als richtig unterstellt – lässt sich anhand der Fahrzeugschäden nicht rekonstruieren. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte zu 2 innerhalb einer gewissen Reaktionszeit durchaus zunächst einen Spurwechsel in Betracht gezogen haben könnte, diesen jedoch sodann wegen des nachfolgenden Verkehrs auf der linken Spur nicht fortgesetzt hat und erst durch die Weiterfahrt des Zeugen S. zu einem weiteren Ausweichen nach links genötigt worden wäre. Dieser zeitliche Verlauf ist jedoch ohne jeden Zweifel sachverständig nicht zu klären.

ee) Vor diesem Hintergrund fehlt es auch an Anhaltspunkten für ein Verschulden des Beklagten zu 2. Denn selbst eine etwaige Fehlreaktion des Beklagten zu 2, indem er ein Ausweichmanöver durchgeführt hat, statt zu bremsen, lässt weder den Zurechnungszusammenhang entfallen, noch begründet das eine Mithaftung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann nämlich auch ein Unfall infolge einer voreiligen – also objektiv nicht erforderlichen – Abwehr- oder Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat. Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden (BGH, Urteil vom 21. September 2010 – VI ZR 263/09 -, Rn. 6, juris). So kommt es – auch hier – für die Bejahung des Zurechnungszusammenhangs insbesondere nicht darauf an, ob der Beklagte zu 2 einen Zusammenstoß mit dem Pkw des Klägers auf andere Weise, etwa durch Abbremsen, hätte verhindern können.

Eine etwaige Fehlreaktion bzw. ein Fahrfehler, der auf einer für den Beklagten zu 2 unvermuteten, plötzlich an ihn herantretenden Gefahrensituation beruht, kann auch nicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen (BGH, Urteil vom 16. Februar 1982 – VI ZR 292/80 -, Rn. 12, juris).

Mangels Anhaltspunkte für eine erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs oder auch eines schuldhaften Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 2 einerseits und einem Verkehrsverstoß des Fahrers des Klägerfahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 StVO andererseits sieht der Senat im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG eine Alleinhaftung des Klägers als angemessen an.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1708 Nr. 10709, 711, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.

Popular Doctors

Weitere Beiträge

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner