Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts

Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts zu eigenen Gunsten nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren; Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage; Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung.

1. Es besteht kein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage bzw. das Zeugnis zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben. Dies gilt nicht nur bei Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts zugunsten Dritter, sondern ebenso bei Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts zu eigenen Gunsten (st. Rspr.).2. Die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts steht der Anwendbarkeit des § 31a StVZO auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere mit Blick auf den verfassungsrechtlich verankerten und innerhalb des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu beachtenden Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare (Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung), nicht entgegen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. Januar 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.800,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage.

Die mit Bescheid vom 8. Dezember 2022 auferlegte Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Hiernach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dies ist dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen – von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine solche Benachrichtigung begründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Bußgeldbehörde können sich im Weiteren an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person ab und liegen der Bußgeldbehörde auch sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vor, ist es dieser regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 8 B 1475/21 – juris Rn. 3, und vom 22. Juli 2020 – 8 B 892/20 -, juris Rn. 15.

Hiervon ausgehend beruht die nicht rechtzeitige Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers vorliegend nicht auf einem Ermittlungsdefizit der Bußgeldbehörde, sondern auf der unzureichenden Mitwirkung des Antragstellers.

Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich maßgeblich Folgendes ausgeführt: Der Fahrer, der mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 0000, dessen Halter der Antragsteller sei, am 9. Mai 2021 einen Geschwindigkeitsverstoß begangen habe, habe nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden können. Ein hierfür ursächliches Ermittlungsdefizit der Behörde sei nicht ersichtlich. Der Antragsteller sei mit Schreiben vom 26. Mai 2021 zu dem Geschwindigkeitsverstoß angehört worden. Er habe zunächst mit Schreiben vom 8. Juni 2021 über seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten um Akteneinsicht gebeten und sodann unter dem 19. Juni 2021 erklären lassen, dass eine Stellungnahme gegebenenfalls innerhalb eines Monats erfolgen werde. Mit Schreiben vom 9. August 2021 hätten die Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass eine Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt nicht beabsichtigt sei. Mit dieser Verhaltensweise sei der Antragsteller seiner Obliegenheit zur Mitwirkung nicht nachgekommen. Sofern er sich darauf berufe, dass ihm aus der Wahrnehmung seines verfassungsmäßig verbürgten Rechts auf Aussage- bzw. Zeugnisverweigerung keine Nachteile erwachsen dürften, könne dies der Auferlegung der Führung eines Fahrtenbuches nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Denn ein „doppeltes Recht“ darauf, nach einem Verkehrsverstoß im Bußgeldverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu werden, bestehe nicht. Einer Fahrtenbuchauflage könne deshalb regelmäßig nicht entgegengehalten werden, die Behörde habe weiter aufklären müssen, wenn der Betroffene selbst an der Klärung der Vorgänge – aus welchen Gründen auch immer – nicht ausreichend mitgewirkt habe. Das gelte selbst dann, wenn der Halter wegen eines bestehenden Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechts nicht mitwirken müsse. Da der Antragsteller keinerlei Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen benannt habe, sei eine weitere Aufklärung nicht geboten gewesen. Weitere dennoch – wie vorliegend – erfolglos durchgeführte überobligatorische Nachforschungen und Ermittlungen blieben insofern ohne Bedeutung.

Diesen Erwägungen setzt das Beschwerdevorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, für ihn habe keine Obliegenheit zur Mitwirkung bestanden, da er aufgrund des Verhaltens der Bußgeldbehörde – namentlich in Anbetracht des ihm übersandten Anhörungsbogens vom 26. Mai 2021 und der E-Mail vom 10. August 2021 – davon habe ausgehen dürfen und müssen, dort als Beschuldigter zu gelten, und dass er als solcher berechtigt gewesen sei, sich auf sein Aussageverweigerungsrecht zu berufen.

Dieser Einwand greift nicht durch. Ungeachtet der Frage, ob der Antragsteller berechtigt war, die Aussage zu verweigern, bzw. ob er Grund zu der Annahme hatte, die Aussage verweigern zu dürfen, besteht – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – kein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage bzw. das Zeugnis zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 8 B 1475/21 -, juris Rn. 13, vom 12. Oktober 2020 – 8 E 785/20 -, juris Rn. 9, und vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 -, juris Rn. 10 m. w. N.

Dies gilt – anders als der Antragsteller meint – nicht nur bei Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts zugunsten Dritter, sondern ebenso bei Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts zu eigenen Gunsten,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 -, juris Rn. 3,

worauf der Antragsteller im Übrigen im Anhörungsbogen vom 26. Mai 2021 hingewiesen wurde.

Die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts steht der Anwendbarkeit des § 31a StVZO auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981 – 2 BvR 1172/81 -, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 8 B 868/15 -, juris Rn. 19.

Die vorstehend zitierte, zu Fahrtenbuchauflagen ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts wird durch den Hinweis des Antragstellers auf den Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare (Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung) als Bestandteil des Grundrechts auf Achtung der Menschenwürde und auf das Urteil der Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u. a. -, juris Rn. 60, nicht in Frage gestellt. Dieser Grundsatz umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Mit der Auferlegung der Führung eines Fahrtenbuches bleibt das Recht des Betroffenen gewahrt, sich selbst nicht bezichtigen zu müssen. Aus der für sich gesehen rechtmäßigen Handlungsweise des Betroffenen darf freilich in zulässiger Weise die Prognose abgeleitet werden, dass er auch bei künftigen Verstößen – seien sie von ihm, seien sie von anderen begangen – von seinem Recht zu schweigen oder zu leugnen Gebrauch machen wird. Das damit verbundene Risiko, dass derartige zukünftige Verkehrsverstöße ungeahndet bleiben, muss die Rechtsordnung nicht von Verfassungs wegen hinnehmen, weil sie sich damit für einen nicht unbeträchtlichen Teilbereich von vornherein der Möglichkeit begäbe, durch die Androhung von Sanktionen Verkehrsverstößen und den damit verbundenen Gefahren namentlich für die anderen Verkehrsteilnehmer im allgemeinen Interesse vorzubeugen. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, mit der Fahrtenbuchauflage werde in rechtlich unzulässiger Weise der Boden bereitet für einen zukünftigen Zwang zur Mitwirkung an der Überführung eines Täters einer Ordnungswidrigkeit. Die Verfassung schützt ohne eine entsprechende gesetzliche Verankerung nicht davor, dass aus Aufzeichnungen, die auf zulässige Verpflichtungen zur Führung von Akten, Büchern, Registern etc. zurückzuführen sind, Erkenntnisse über die Täter von Verkehrsordnungswidrigkeiten abgeleitet werden, auch wenn es sich dabei um den Aufzeichnenden selbst oder jemanden handelt, hinsichtlich dessen dem Aufzeichnenden ein Aussageverweigerungsrecht zusteht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 -, juris Rn. 3; siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 – 11 ZB 14.1129 -, juris Rn. 24.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 252 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat für jeden Monat der auf neun Monate befristeten Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage einen Betrag in Höhe von 400,- Euro zugrunde (Ziff. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) und setzt im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieses Verfahrens den Streitwert auf die Hälfte des sich daraus ergebenden Betrages fest (vgl. Ziff. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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